Odysseus am phaiakischen Hof, Francesco Hayez
In vielen Gesprächen mit Paaren im Kinderwunsch sehe ich, dass Männer sich zurücknehmen. Gefragt nach ihren Gefühlen, sprechen von den Gefühlen ihrer Partnerin. Die Botschaft ist klar: Ich muss stark sein. Stark für sie, stark für uns, stark, damit einer von uns beiden noch steht, wenn alles zusammenbricht.
Solche Sätze kommen selten mit lauter Stimme, eher leise, fast entschuldigend. Und doch wirken sie wie ein eiserner Vorhang, hinter dem der oft unbewusste Glaube steckt, dass schwierige Gefühle von Wunschvätern – Angst, Trauer, Wut – keinen Platz haben dürfen. Dass Stärke heißt: schweigen, aushalten, durchhalten. Das Selbstlosigkeit heißt: sich selbst zu vergessen, sich nicht mitzuteilen.
Die Folgen dieses Mythos sind spürbar und zeigen sich in Studien: Aktives Vermeiden – schweigen, wegschauen, belastende Situationen meiden – erhöht den Stresspegel beider Seiten deutlich – vor allem dann, wenn Männer diese Strategie an den Tag legen.
Das heißt: Ein Mann will vielleicht seine Frau nicht noch mehr belasten und nimmt sich selbstlos zurück. Ein Mann ist derart um das Wohlbefinden seiner Frau bemüht und besorgt, dass er erst gar nicht darauf schaut, was die Kinderwunschreise mit ihm macht. Indem er seine Gefühle zurückhält, trägt er sie aber nicht weniger, sondern allein. Und für die Frau hat dieses Schweigen eine andere Bedeutung als die intendierte: Was als Stärke gemeint ist, erlebt sie als Desinteresse. Was als Liebe rüberkommen will, erlebt sie als Kälte. Ausgerechnet der Versuch zu entlasten, macht ihre Last schwerer.
Das verstärkt wiederum Druck und Belastung der Männer – und ein Teufelskreis der Missverständnisse entsteht, der mehr als eine Beziehung ins Schwanken gebracht hat. Denn, auch das macht die Forschung deutlich, Paare, die sich unterschiedlich in der Bewertung von Stress und in ihren Bewältigungsstrategien erleben, geraten leichter in Kommunikationsfallen.
Es ist kein Wunder, dass das alles passiert. Den Mythos der stillen und selbstlosen männlichen Stärke hat sich nicht ein Persephone-Teilnehmer eines sonnigen Sonntags aus Gutdünken ausgedacht, sondern ist tief verwurzelt in unserer Gesellschaft. Unsere Kultur hat uns allen über Generationen hinweg den Syllogismus eingeprägt: Ein Mann hat stark zu sein. Stärke bedeutet: keine Tränen, keine Angst, kein Zweifel. Folglich gilt ein Mann, der über Gefühle schweigt, als stark, beherrscht; ein Mann, der weint, als schwach.
In diesem Spannungsfeld ist es nur logisch, dass viele Männer versuchen, gerade im Kinderwunschprozess, der Frauen besonders belastet, die Maske der Bedürfnislosigkeit aufzusetzen. Sie wollen tragen, stützen, „funktionieren“ – und landen dabei in einem Verhalten, das eher trennt als verbindet.
Doch auch Achilles weint. Auch Odysseus weint. Andauernd. Unter anderem, bevor er sein klägliches Leiden am phaiakischen Hofe im Kreis des Königspaares erzählt. Und diese Erzählung ist kathartisch. In der Kinderwunschodyssee auch. Wenn Männer ihre Gefühle als Teil der gemeinsamen Reise begreifen und teilen, entsteht Nähe, Verständnis, Vertrauen. Ich höre von Frauen immer wieder, wie entlastend es ist, wenn ihr Partner im Austausch mit ihr Worte für das sucht manchmal findet, was in ihm selbst vorgeht. Hört er zu und fragt er neugierig nach, wenn sie ihm ihre Gefühle anvertraut, fühlt sie sich gesehen. Wenn sie gemeinsam weinen, lernen sie sich kennen.
Paare, die sich gegenseitig Einblick in ihr Inneres geben, entkommen nicht nur dem Missverständnis, dass Schweigen Schutz sei. Sie stärken damit auch ihre Beziehung langfristig und nachhaltig. Denn wer sich in so einer Krise in all seiner Verletzlichkeit zeigen und mitteilen kann, wird es erst recht schaffen, wenn es um den Abwasch geht. Der Schlüssel, den Studien immer wieder hervorheben, ist Kommunikation: nicht perfekt, nicht glatt, sondern ehrlich, tastend, manchmal auch holprig.
Leichter gesagt, als getan – oder? Wie entwirrt man sich aus so einer enggeschnürten Sozialisation? Ich glaube nicht an schnelle Antworten. Es ist ein Prozess, dem die Kinderwunschreise Anlass und Ansporn geben kann. Ich möchte also keine Patentlösung präsentieren.
Aber ich möchte einen Raum öffnen: Am 23. November laden wir bei Persephone gemeinsam mit EndoHeroes zu einem Gespräch ein, das genau diese Themen berührt – Psyche und Paarkommunikation im Kinderwunsch. Keine schnellen Antworten, kein Ratgeberabend. Sondern eine Gelegenheit, zuzuhören, mitzudenken, erste Worte zu finden. Erfahre mehr und melde Dich hier an!
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